Otto – der Wohlstandsverwahrloste

Ich hab’ ihn im Rückspiegel kurz entdeckt. Er ist ausgestiegen aus seinem gutgefederten SUV. Im Parkhaus Mythenzentrum mitten in Schwyz an einem Sonntag. Mit einer Freiheitstrychler-Kutte. Genauso wie ich mir das vorgestellt habe. (die Begegnung  ist aber das einzig Wahre an dieser Geschichte…)

Ich öffne die Autotüre und rufe: „ Wuah, das Original…“ Das muss ich mir ansehen. Da kommt er schon sichtlich erfreut auf mich zu, da muss ich meine Anti-Schwyzer-Impfgegner-Haltung wegignorieren.

Nennen wir ihn Otto (er hat ja auf beiden Seiten etwas rundes, breites , gemütliches, anagrammhaftes.) Seine Innerschwyzer-Kleinbürgerlichkeit ist auf jeden Fall nicht gefakt. „Schön…“ sag ich, gemütlich lächelnd, weiss dann aber nicht mehr weiter. Jetzt hat ers wahrscheinlich gecheckt. „ Bist du geimpft?“, fragt er. Ich nicke, er ist sichtlich etwas irritiert, lässt den Laden runter, möchte aber doch noch etwas plaudern, begrüsst meine Frau freundlich, aber die kann normalerweise nichts mit solchem Talk-Aufstrich anfangen.

„ Jo, I bi jo xund.“, meint er, sich schon vorsichtig abwendend. Der Satzbrocken wurde zum Ritual nach Corona – auch für Leute wie ihn, die ja gar nicht impfen wollen. Weil er ja sonst nicht mehr viel zu sagen hat. Kann ja nur noch Schellen schwingen.

Also zum Bye-Bye mache ich ein „jo, halt nüt z’macha, bliib xund…“ Richtung Aargau wie die Autonummer zeigt. Und da stell’ ich mir vor, hoffe ich für ihn, dass er xund ankommt.

Wohlig schlummern die Kois im Bioteich vor seinem Hüsli.

Und nicht zum ersten Mal kam ihm, Otto der Gedanke, dass Gott die Erde ja vielleicht nicht für alle geschaffen hat.

Für ihn vielleicht schon eher. Der Rest der Welt ist doch schon eine ferne Favela, der es an Geld mangelt. Und was solls: Afghanistan ist ja weit weg und von Afghaninnen hält er eh nicht viel.

 

Er leidet auch nicht unter so einer Art akademischer Voreingenommenheit wie diese Zeitungs-Besserwisser. Seine blutwurstgeröteten Schwingergnick-Kollegen von seiner Partei bestätigten ihm das immer wieder.

Sie nehmen mit der Weltwoche an, dass sich Lügen (wie auch Anti-Impf-Argumente) unbeschwert vermehren lassen wie Fliegen um den Miststock – auch wenn sie von russischen Trolls kommen.

Diese Wissenschafts-Eminenzen, diese verluderte Politikermeute und diese Impf-Fans müssen doch mal etwas in die Schollentiefe versenkt werden.

Er geht sicher nie ins Theater. Politik ist doch so etwa wie Theaterstücke, in dem grell geschminkte Darsteller unter idiotischen Verrenkungen ihm etwas vorspielen, das er gar nicht sehen will. Margrith, seine Gattin, sieht das anders; sie will ja ihren Schmuck ab und zu vorführen und versteht, dass man halt im Theater beim ersten Mal nichts versteht, nicht aber, dass Otto kein zweites Mal will.

 

Während man glaubte, alles sei noch in Ordnung, rätselte man schon im Innern, die Lähmung kam nun auch in äusseren Worten –welthinterfragend. „Gell, schu no…schräg?“ Man weiss, dass man einmal wusste wie es ging, doch jetzt, trotz angestrengten, krampfhaften Versuchens will es nicht mehr gelingen.

„Mach etwas, egal was…“ sagt seine innere Stimme. Obwohl er nie Beckett gelesen. Seine Bauchstimme kommt ganz bestimmt nicht von einem absurden Theatermacher. Absurd kam ihm höchstens mal der Stau am Walensee oder Gubrist vor. Und ja, zugegeben, für die Impfgegner-Demo war er eigentlich zu faul, aber seine Kollegen zu treffen war dann doch wieder belebend.

Die Rede über die Traumatisierung des Volkes während des Lockdown hat ja was. Irgendwas stimmt ja schon nicht. Auf Facebook häuften sich die Posts seiner „Freunde“ (waren ja keine, haha), die sich über die traumatische Leere ohne Fussball, Bier, Marco Rima und Thiel beklagten.

Er war ja in einem Haushalt aufgewachsen, der in vielem so beschaffen war, dass sich dort das Bürgertum in aller Breite und Zufriedenheit niederlassen konnte.

(Er konnte ohne Wimperzucken den Paola-Felix-Geburtstag auf dem linken SF 1 geniessen)

Gut, die Eigenverantwortungs-Trommler sind sein Ding. Obwohl, in letzter Zeit, sind plötzlich ganz andere Leute auch gegen das Impfen: da kommt er nicht mehr mit; so Körnli-Yoga-Tanten, und diese Globuli-Spreader. Sind das Perspektivendifferenzierungen ?(kannte er das Wort überhaupt?) SSS….sicher nicht. Er kann denken, findet es aber einfacher ab und zu einfach nicht zu denken.

Er hat ja noch glücklich drei Nerven zusammengescharrt, die ihm die Ausübung einer bescheidenen Sensitivität erlauben. Er glaubt nicht mehr alles, was ihm vorgekäut wurde. Vor allem im Bezug aufs Ausland. An diese QAnon-Ideen mindestens im Kern etwas zu glauben, war für ihn schon prickelnd. Diese furchterregende Lust am Unwirklichen.Und dieses etwas Ersatzreligiöse findet er absolut geil.

So wie er die Texaner, die Harley-Fahrer wie in Florida, die Bewohner des Enddarms des amerikanischen Ex-Präsidenten liebte. Einen (nur vermeintlich so belämmerten) Präsidenten-Säuglingen in Erwachsenengestalt zu erleben, war doch bestes Entertainment. Er schäckerte fast mit dieser Sehnsucht nach einem Trump-Leben in jener kitschigen Flitter-Marmor-und Seide-Schumrigkeit, die er sich so gerne in seine Oftringer Wohnung wünschte. (Was er aber dann nicht so sagt.)

 

Ja, und überhaupt, sein Stammtisch-Kollege, Anwalt, belehrt ihn, dass er seiner Margrith nur beibringen müsse, dass sich Erotik nur als als „zustimmende Überlassung der Sexualorgane zu wechselseitigem Gebrauch“ definieren lasse. Ein Seitensprung sei also bestenfalls so wie ein Kopfsprung im Freibad Möriken. Und die eingeklemmten Affekte sowieso spiessig.

Verklemmt wie ein Reisverschluss waren bestenfalls diese Linksintellektuellen, die zwar in den 70ern die freie Liebe propagierten, aber handkehrum jetzt alles regulieren wollen täten – vom Parkplatz bis zum Veloweg.

Otto hatte damals noch mit dem Töff Abziehbilder vom Grimsel, Furka und Susten gesammelt. Born to be wild auf wild (Hirschpfeffer liebte er auf jeden Fall.)

Heute sieht er sich als MeToo-Gegner. „Anbaggern wird man wohl noch dürfen: sehen ja nicht alle Frauen aus wie Martullo.“ Und ja, man muss ja nicht dauern seelisch unterkühlt die BAG-Media-News verfolgen.

Und diese pasteurisierte Wort-Verrenkungs-Gender-Neusprache: „Mitarbeitende, Verkaufende…“ hat ja sowas klemmendes. „Die lächerliche Flucht in den Partizipativ“ wie sein alter Deutschlehrer-Kollege aus der Männerriege meinte, sei ja auch nicht so erbauend. Wer gendert sei nett und links, wer es nicht tut, bös und rechts.

 

Kräftige Fallwinde unter dem Mythen gab’s schon immer. Vor allem abends wenn der Hormonspiegel steigt. Unter diesem Zacken beisst man sich halt ab und zu die Zähne aus.

So ists manchmal auch bei Margrith. Wenn dann auf der anderen Seite das Wolkengebirge gegen das Gebirge aufläuft, krachts, blitzts halt. Und wenn Margrit täubalet, nennt er sie Männin, vom Manne ist sie ja genommen, hat er als Messdiener gelernt.

 

Die Leute fluchen auch über die Tabakkonzerne während sie rauchen. Und ja, das Suchtpotenzial in Untertaillen-Hinsicht, nimmt ja eh ab mit dem Alter. Man passt sich unmerklich und merklich einander an. Wie die Taillenweite. Und von dem gutgelagerten Speck, über den man sich erhaben fühlen dürfe, könne man auch in so Corona-Lockdown-Zeiten noch was zehren. Falls die fünfte Welle wieder verhindert, dass die Alten in die Migros dürfen.

 

Otto ist ein Parvenue der Nachahmung. Er hat schon früh die Gesten, Worte, Autos, Essgewohnheiten der Macher kopiert. Vieles auch durchschaut. Auf seine Weise. So konnte er auch bei der SVP Delegiertenversammlung zu den höchsten Vorbildern schweizerischen Misstrauens vordringen: die Imarks, Glarners und Chiesas…Diese Grummelprediger sind ja auch unterhaltend. Zwar unnütz wie der Blinddarm und immer auf der Suche nach was, worüber sie pikiert sein könnten. Aber immerhin etwas gegen die akute Virus-Langeweile. So muss er sich auch nicht auf dem Rudergerät dem Herzinfarkt entgegenfoltern. Oder schwungvoll aus der Haut fahren. I bi jo xund.

Der Herr Blocher und die angestrengte Anti-Diktatur-Demos haben ihm imponiert, die Motzerei gegen die Städter. Und anderes. All dies nahm er amüsiert und mit der interessierten Gelassenheit eines Völkerkundlers zur Kenntnis. Das war nötig, wie die Türe seines Kühlschranks, die man zuwerfen musste, damit sie ordentlich schliesst, aber erst nach dem Futtern.

 

Das tölpische Vorzeige-Gezänk zum Zwecke des Stimmenfangs fasziniert ihn immer wieder.

Zum Beispiel das Agrar-Stöhnen der Bauern, wahrscheinlich gelernt von ungemelkten Kühen. Das alles imponiert zwar auch nicht mehr wie früher – hat er auch selber erfahren müssen: sein Rentner-Hängebauch und sein Aperol-Hauch sind auch nicht mehr so in.

 

Im Kielwasser seiner Gefühle kam er dann rasch zur Erkenntnis, dass er doch nichts ändern müsse. Älterwerden ist ja eh ein Prozess – schliesslich hatte er von den Politikern gelernt: Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht.

Die einen lieben Milch. Und die anderen die Tochter des Hafermilch-Produzenten. Ja, das ist so mit dem Meinungspluralismus. Otto ist ja nicht blöd, aber es ist ihm einfach zu blöd. Er ist doch zufrieden und mit sich im Reinen, dass er nichts zu überstürzen braucht…nochmals an eine Samstags-Demo in so einem Khaff ? Kaum.

 

Genauso hab ich mir vorgestellt, ist das mit Otto an diesem Sonntag. Sein Gesicht hab’ ich noch in Erinnerung. Aber Otto könnte natürlich ganz anders sein…

 

 

 

 

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